Nils Binnberg
Michaelkirchstraße 12
10179 Berlin

post@nilsbinnberg.de

Welt am Sonntag

Juni 2013

Die Maximalistin

Mit einem Total- Look von Comme des Garçons hat Michelle Elie es schließlich geschafft. Aus dünnem Filz ausgeschnittene, erdbeerrote und blassrosa Halbkreise und Kreise sind zusammengesetzt zu einem, ja was eigentlich? Kleid? Mantel? Cape? Unter dem Avantgardestück trägt Elie (so, wie es die japanische Designerin Rei Kawakubo vorgesehen hat) ein Polka-Dots-Shirt, weiße Strumpfhosen und rote Schnürschuhe mit Absatz. Mit dem durchaus spektakulären Outfit – übrigens aus derselben Kollektion wie Lady Gagas pink-blaues Teletubbies-Kleid, das mit dieser Assoziation letzten Herbst für Schlagzeilen sorgte – wurde das haitianische Ex- Model bei der vergangenen Pariser Modewoche im März zum wahrscheinlich gefragtesten Motiv für die versammelten Street-Style-Fotografen. Michelle Elie und ihre Kawakubo-Kreise landeten auf jedem Modeblog. Am Ende sogar auf einer Doppelseite in der US-„Vogue“.

Wenn Elie bei den Fashion-Weeks in Paris oder New York ist, gibt sie sich immer häufiger immer größere Mühe, Aufmerksamkeit zu bekommen. Dann durchläuft sie mindestens so viele Outfitwechsel wie die „Vogue Japan“- Modechefin Anna dello Russo. Heute den schwarzweißen Gipsy-Rock von Balenciaga, morgen das drapierte Seiden-Ensemble von Haider Ackermann. Immer Head-to-Toe ein Designer. Doch die wenigsten Blogger, die Elie fotografieren, wissen, wer sie wirklich ist. Niemand ahnt, dass sie im beschaulichen Köln lebt oder eigentlich Meiré heißt. So wie ihr Ehemann, der Gestalter Mike Meiré, der die Looks von gefeierten Indie-Magazinen wie „032C“ oder dem „Garage Magazine“ als Art-Direktor verantwortet. Oder, dass sie Schmuckdesignerin ist. Ihr eigenes Label Prim vermarktet sie unter ihrem Mädchennamen. Den Meiré-Benefit will sie nicht. „Das wäre so, als wenn Monica Lewinsky Clinton einen Blowjob gegeben und dann eine Schmuckkollektion gemacht hätte“, findet Elie und schiebt ein lautstarkes Lachen nach. Es ist ein nicht ganz ernst gemeinter Vergleich, aber für sie die Lösung: Statt Meiré werden Modeblogs ihr Marketing-Tool.

Vor drei Jahren war es Elie nicht mehr genug, nur die Frau von Mike Meiré zu sein. In ihrem Kleiderschrank sammelte sie schon eine Weile die Kollektionen der hochbegabten Designer-Schwestern Rodarte. Die von Comme des Garçons sowieso. Wieso, dachte sie sich, macht sie nicht selbst Mode? Sie plant, inspiriert von ihren drei Söhnen, eine Kidswear-Kollektion, landet am Ende aber bei Schmuck. Sie selbst trägt bis heute nicht mehr als ihren Ehering und einen kleinen Stecker, den sie direkt nach ihrer Geburt, wie es in Haiti üblich ist, ins Ohrloch bekommen hat. Aber neben Mode hat Elie schon immer Schmuckstücke gesammelt. Von Flohmärkten aus Paris oder New York hat sie immer wieder Teile mitgebracht, die für ihre Besitzer keinen Wert mehr hatten. Faustgroße Diamantechsen, filigrane Goldblätter, kleine Trommeln. Aus diesen Objets Trouvés bastelt sie mit Sicherheitsnadeln ihr erstes Stück: eine Halskette. Am Ende hängt sie noch ein Medaillon dran, das sie vor ihrer Haustür im Belgischen Viertel gefunden hat, und bringt die Kette zum Goldschmied. „Ich habe zwar keine Designausbildung“, erzählt sie. „Aber ich habe ein Gespür für Trends.“ Dann ergänzt sie: „Nach dem ganzen Minimalismus gibt es wieder das Bedürfnis nach üppiger Dekoration. Wie gut, dass ich eine Maximalistin bin.“

Elies Schmuck richtet sich an Frauen wie sie, die weder konservative Perlenstecker von Cartier möchten noch Red-Carpet-Klunker. Ihre Kundinnen sind moderne Frauen, die meisten kommen aus dem Kunstbetrieb. Kuratorinnen und Museumsdirektorinnen, die milliardenschwere Abramowitsch-Gattin und „Garage Magazine“-Herausgeberin Dascha Schukowa, die Prada-Botschafterin und ehemalige Kunstberaterin Shala Monroque. Ein wenig hilft der Ehemann am Ende doch – mit seinen Kontakten. Es sind Frauen, die bereit sind, 3000 Euro für ihren ulkigen Bananen-Ring zu bezahlen, oder auch für einen Ring aus Silber, der die Form eines erigierten Penis hat. Auf der Spitze thront ein Totenkopf. Es gehört ganz sicher Mut dazu, so etwas am Finger zu tragen. Elie sieht das natürlich anders. Besonders Menschen aus der Kunst-Szene seien offen für Schmuck, der den Mode-Staus-quo infrage stellt, beobachtet sie. Ist das Stück am Ende also eher Kunst als Design? Gar ein feministisches Statement-Piece? „Ich bin soooo unfeministisch“, kreischt Elie sofort. „Wir Frauen haben alle Kämpfe gekämpft und sind Männern in vielen Bereichen gleichstellt.“ Das stimmt zwar nicht ganz. Aber mit dem Schmuck von Michelle Elie haben sie jetzt immerhin ihren eigenen Cockring.

Nach Oben