Nils Binnberg
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Welt am Sonntag

November 2011

Zwischen
Pop und Porno

Man muss schon ziemlich durchgeknallt sein, auf die Idee zu kommen, eine Konzeptschrift zu entwickeln, die am Ende „Fake Johnny“ getauft wird. Eine Schrift, die von einem Kunstwerk John Baldessaris inspiriert ist, die wackelt, springt und irgendwie besoffen auf den Zeilen eiert. Eigentlich hatte Mike Meiré das bei der Gestaltung der Zeitschrift „Garage“ so auch gar nicht geplant. Als er den Auftrag von Dascha Schukowa erhielt – das ist die Freundin des Oligarchen Roman Abramowitsch – ein Layout zu entwickeln, wollte er mit einer einzigen grotesken Type arbeiten. Nachdem er eine Futura, Helvetica, Universal und zehn andere durchgespielt hatte, fühlte sich das Heft irgendwie immer noch an wie ein Corporate- Magazin. Also ließ er alle Typen zusammen in eine Software programmieren und über ein Zufallsprinzip zu einer unkontrollierten Buchstabenfolge kombinieren. Das Ergebnis: ganz schön crazy.

So richtig nimmt man Mike Meiré den Nerd, den er hier gibt, allerdings nicht ab, wie er im Konferenzraum seiner Agentur so dasitzt im braven Total-Look von Jil Sander. Bluejeans, ein mintgrüner Kaschmirpulli, darunter ein weißes Hemd, den dunkelblauen Wollschal akkurat zu einer Schlinge gebunden. Okay, die Brille von Tom Ford in Form einer übergroßen Aviator ist ein wenig exzentrisch. Aber das getönte, perfekt geföhnte Haar? Und Ehefrau Michelle, ein haitianisches Ex-Model mit eigener Schmuckkollektion? Meirés Lifestyle ist ganz klar: Pop. „Ich bin die Rei Kawakubo des Grafik-Designs“, platzt es unangemeldet aus ihm heraus. Kichernd schiebt er hinterher: „Wir erfinden uns wie die japanische Designerin ständig neu. Ich bin sehr für Erneuerung. Das macht mehr Spaß.“

An Selbstbewusstsein mangelt es ihm schon mal nicht. Sein Büro nennt er in Anlehnung an Warhol: „Factory“. Und wie es sich für eine Agentur gehört, die mit Coolness handelt, liegt die alte Lagerhalle im Kölner Arbeiterviertel Ehrenfeld, das in den letzten zehn Jahren zum SoHo von Köln gentrifiziert wurde. Gleich nebenan ein Relikt aus wilderen Zeiten: die Live Music Hall. Drum herum: Rechtsanwälte, Start-up-Agenturen und hippe Dienstleister. Als Mike Meiré vor fünf Jahren aus dem Belgischen Viertel umgesiedelt ist, war hier noch kulturelles Brachland. Die Zeitschrift „Kid’s Wear“ hatte zwar ihre Redaktionsräume schon eine Weile aufgeschlagen, aber erst als Meiré die Art-Direktion dafür übernommen hatte, übernahm man die Halle vom Streetwear-Label Stüssy. „Ich war durch mit der großen Geste der 90er-Jahre. Dinge wie Chefetage oder repräsentative Räume waren auf einmal obsolet. Wir haben damals ja sogar die Sekretärinnen gecastet. Das war plötzlich nicht mehr zeitgemäß.“ Eine Empfangsdame gibt es hier jetzt nicht mehr. Die Tür steht offen. Für jeden. Und die Neo-Hippie- Mentalität zieht sich durch das gesamte Design der Halle: Billige Sperrholzplatten als Wandvertäfelung, kühle Industriedesignobjekte von e15 oder Konstantin Grcic werden mit orientalischen Teppichen aufgewärmt und auf den analogen Fernsehgeräten laufen Pornos von Marco Brambilla.

So Avantgarde zu sein tut natürlich manchmal weh. Einen Nestbeschmutzer haben sie Mike Meiré Ende der 90er-Jahre genannt, die Kasper-Königs und anderen Kunstbetriebler von Köln. Rosemarie Trockel für ein Projekt von Dornbracht arbeiten zu lassen? Kunst und Kommerz zu mischen? Ganz schön unverfroren. „Da war ich wahrscheinlich sehr naiv. Aber letztendlich hat ein Warhol das ja auch gemacht. Ich will einfach, dass eine Idee umgesetzt wird, und dann ist es mir egal festzulegen, ob das Kunst, Architektur, Grafikdesign oder Werbung ist. Heute redet doch kein Mensch mehr darüber. Heute haben wir eine Creative-Class.“

Wie zum Beweis seiner eigenen Theorie will sich Meiré daher gar nicht festlegen, ob das „Garage“-Magazin nun eine Kunst oder Modezeitschrift ist. „Das ist die Frage deiner eigenen Perspektive“, erklärt er. „Wenn du mehr fashion-orientiert bist, dann wirst du es so lesen. Und die anderen, die wegen Damien Hirst oder John Baldessari zum Heft greifen, sehen das natürlich als Kunstmagazin.“ Die DNA des Hefts aber offenbart die Nähe zum internationalen Kunstbetrieb: Launch-Partys in Moskau zur Ausstellungseröffnung von Marina Abramovic, in London zur Frieze Art Fair. Und dann der Titel: „Garage“! Namensgeber ist jener Ausstellungsraum, den Dascha Schukowa 2008 in Moskau in einem alten Busdepot eröffnet hat und der inzwischen über Landesgrenzen hinweg für mutig kuratierte Kunstschauen bekannt ist. Ist doch klar, dass das ein Kunstmagazin ist. Wären da nicht diese entrückten und ziemlich unterhaltsamen Modestrecken, die das infrage stellen. Und zu den stärksten Momenten von „Garage“ gehört genau diese Grenzüberschreitung von Kunst/Mode. Etwa wenn Künstler wie Damien Hirst, John Baldessari, Jeff Koons oder Richard Prince aufgerufen werden, Tattoo-Motive zu zeichnen, und diese dann Teenagern aus Los Angeles tatsächlich auf den Leib gestochen werden. Inszeniert und fotografiert werden diese menschlichen Leinwände von Hedi Slimane, jenem Franzosen, der schon als Designer mit seiner Rockabilly- Mode für Dior Homme gezeigt hat, wie gut er die Psychologie von Jugendlichen verstanden hat.

Na gut, die Top-Künstler unserer Zeit (fast alle sind bei Kunstmogul Larry Gagosian vertreten) für so eine Strecke zu verpflichten, ist für jemanden wie Schukowa: niet problem. Als Freundin des milliardenschweren Roman Abramowitsch und Lieblingskundin der internationalen Spitzengalerien ist sie der A-Liste des Kunstbetriebs per Standleitung zugeschaltet. Doch den interessanten Nachwuchs sucht man hier vergeblich. Mit einer Power-Geste hievt Schukowa „Garage“ auf Jetset-Level. Aber das Magazin kann auch bescheiden und überrascht, wenn eine Moncler- Jacke aus frischen Sardinen nachgebaut wird, oder das Prada-Paillettenkleid aus Zitronenscheiben. Die Do-It-Yourself- Bastelei gipfelt schließlich in einer Arbeit von Dinos Chapman, der eine Puppenversion von Model Lily Donaldson im Stil Tim Burtons kreiert hat, die mit Kleidern von Marc Jacobs oder Mary Katrantzou angezogen ist – fotografiert von Nick Knight.

Die Verschmelzung von Kunst und Mode ist nicht neu. Das weiß auch Mike Meiré, der sogar als Katalysator dieses Zirkus gesehen werden kann. Glücklicherweise hat er seine in den Nullerjahren ausgerufene Parole, nur noch mit der Schrift Helvetica arbeiten zu wollen, verworfen und damit ein Magazin geschaffen, das gestalterisch mal wieder andere zum Nachsitzen zwingt. „ Magazine machen gerade eine interessante Transformation durch“, beobachtet Meiré. „So wie Plattencover, die ausgestorben waren und jetzt wieder da sind, entdecken wir das Gestalterische wieder.“

Handarbeit ist so etwas wie die neue Bewegung im Magazindesign. Als Dascha Schukowa auf Empfehlung von Meirés engem Freund Peter Saville zum ersten Treffen in die Factory nach Köln kam, sprang sie sofort auf eine Ausgabe einer „APART“ an – jenem Magazin, mit dem Meiré 1983 in Königsdorf zusammen mit seinem Bruder Marc seine Karriere begann. Handgefertigt im Letraset- Verfahren, Schukowa war begeistert und entschied mit schwerem russischen Akzent: I want to add soul to the digital age. Am Ende wurde das Wichtigste des Magazins, das Logo, ganz von Hand gezeichnet, ausgeschnitten und zusammengeklebt. Und der Rücken wurde einfach offen gelassen, was dem Magazin einen zerfledderten Vintage-Look verpasst. Wer aber hätte gedacht, dass die ersten Ausgaben massenweise reklamiert würden, weil die Händler dachten, sie seien kaputt?

Eigentlich braucht so ein gut gemachtes Heft keine Provokation. Dafür hat Meiré schon die „032C“, deren Gestaltung er vor knapp drei Jahren übernommen hat (und an deren Facelift er gerade arbeitet). Damals stellte er sich gemeinsam mit dem Herausgeber Jörg Koch die Frage: Wie könnte ein Magazin aussehen, das man unter der Ladentheke verkauft, das pornografische Codes zitiert? Sie wollten es richtig dirty machen. Am Ende bezeichneten die Kritiker das Design als „The New Ugly“. Der bisherige Höhepunkt des guten, schlechten Geschmacks: eine Strecke mit Topmodel Kristen McMenamy, der Jürgen Teller mitten ins Arschloch blitzt. In China musste daraufhin jede einzelne Ausgabe mit dem Edding zensiert werden. Ebenfalls eine Form von Handarbeit. Warum also suchte Meiré auch mit Schukowas „Garage“ die Aufmerksamkeit, mit einem Cover, das eine nackte Frau im Close-up vom Bauchnabel zum Oberschenkel zeigt? Der britische Händler W.H. Smith weigerte sich immerhin, die Ausgabe in die Regale zu stellen. „Wir wussten, dass es provozieren würde. Daher entschieden wir uns für drei Cover. Und den Intimbereich des Models haben wir ja überklebt. Ich hatte diese Idee, den Transfer zu leisten mit der Warhol-Banane auf dem Velvet Underground Plattencover, auf dem steht ‚Peel Slowly and See‘. Also haben wir das fast Eins-zu-eins kopiert. Nur mit einem Schmetterling.“

Aber wozu denn jetzt überhaupt noch ein weiteres Magazin? „Das habe ich Dascha, typisch deutsch, auch direkt gefragt. Und was hat sie geantwortet? Dass man Dinge nicht macht, weil sie irgendwer braucht, sondern weil man sie will. Und weil New York die ‚Interview‘ hat, Paris die ‚Purple‘ und London die ‚Pop‘, will jetzt eben Moskau ein eigenes Magazin.“ Und die erste Ausgabe ist inzwischen vergriffen. Sieht ganz so aus, als wisse man in Moskau, was wir wollen.

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