Nils Binnberg
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GQ

Februar 2011

New Yorker Tiefstapler

Ausgerechnet Mickey Mouse. In Quietschpink mit breitem Grinsen im Gesicht und einer einladenden Geste präsentiert die Comicfigur als nicht ganz jugendfreie Plastik ihren mächtigen, erigierten Schwanz – und das ganz selbstverständlich mitten im Wohnzimmer von Paul Sevigny. Was einst eine Auftragsarbeit für Disney war, steht nun also hübsch dekoriert auf einem Beistelltisch in Sevignys Apartment im New Yorker East Village und nicht wie ursprünglich gedacht im Hauptquartier des Konzerns in Burbank, Kalifornien. Dort zeigte man sich von der Figur, die man bei dem Pariser Graffiti- und Popartkünstler André Saraiva in Auftrag gegeben hatte – Überraschung -, wenig erfreut. Die Figur landete schließlich in der Sevigny-Wohnung. ,,Eigentlich wollte André die Figur Terry Richardson schenken. Ich bot damals an, sie bei Terry vorbeizubringen – habe sie aber einfach behalten“, sagt er unverblümt. Saraiva war ziemlich erstaunt, die Figur später in der Wohnung seines Freundes zu finden; der Modefotograf Terry Richardson, ein Freund von Sevigny, weiß bis heute nichts davon. Paul Sevigny lacht sein dreckigstes Stakkatolachen, als er davon erzählt. ,,Sonst wurde hier aber alles ganz legal erworben!“

Der lebensgroße Schwertfisch aus Holz etwa, der über seinem Plattenspieler im Wohnzimmer seines Zweizimmerapartments hängt. Entdeckt hat er ihn in einem Wohltätigkeitsladen der Kirche. Oder die alten Globen und die Fundstücke aus der Napoleonzeit, die über die gesamte Wohnungverteilt sind. Edle oder kostspielige Designerstücke? Fehlanzeige. Selbst der,,Diamond Chair“ von Harry Bertoia aus weiß lackiertem Stahlgitter von 1952 ist ein Vintagefund mit Patina und hat nur einen Bruchteil des Originalpreises gekostet. Dabei könnte sich Sevigny als Betreiber einiger der erfolgreichsten Lokale von New York mehr leisten. WilI er aber nicht. ,,Ich habe einfach diese Leidenschaft für Vintagemöbel“, erklärt er. ,,Selbst, wenn ich meine Clubs gestalte, greife ich auf vergangene Stile zurück.“

Die Clubs von Paul Sevigny einfach Clubs zu nennen, wäre maßlos untertrieben. Sein Pilotprojekt, das ,,Beatrice Inn“ im noblen Stadtteil West Village, machte ihn Anfang 2006 über Nacht zum erfolgreichsten Strippenzieher im NewYorker Nachtleben. Natürlich hat es ihm geholfen, dass seine Schwester Chloe eine berühmte Schauspielerin und Modeikone ist. Doch PauI Sevignys Leistung war es, das,,Beatrice“ zum Ersatzwohnzimmer für Stars wie Kate Moss oder Kirsten Dunst zu machen – denn genauso sah es auch aus: Sevigny hatte die Möbel seiner Mutter aus den 50er-Jahren kurzerhand zum Clubinventar gemacht. Doch da der Laden im Souterrain einesWohnhauses lag hagelte es bald Klagen von Anwohnern. Zeitweise musste Sevigny sogar seinen Anwalt als Türsteher verpflichten, um die wütenden Proteste zu besänftigen. Kostenpunkt: 75o Dollar pro Stunde. Geholfen hat es nichts: Im Frühjahr 2009 wurden die Türen des ,,Beatrice Inn“ geschlossen. Für immer.

Doch das ist keine Katastrophe für einen, dessen Karriere sich eher beiläufig ergeben hat. Mit 20 war Sevigny Rohstoffhändler an der Wall Street, bis sein Boss plötzlich wegen Steuerhinterziehung verhaftet wurde. Sevignys Odyssee durch die Subkultur NewYorks begann: Club-Promoter, DJ, Musiker, Clubbesitzer und jetzt auch: Restaurantinhaber. Anfang 2010 eröffnete er das,,Kenmare“ im charmanten Stadtteil Nolita. Wo früher ein italienisches Mittelklasserestaurant beheimatet war, hat Sevigny nun ein Lokal im Stil der Wiener ,,American Bar“ gestaltet. In Anlehnung an deren Bauherrn, Adolf Loos, setzt Sevigny auf die architektonische Moderne, schafft mit holzvertäfelten Wänden, Marmorsäulen und schweren Ledersesseln eine elegante Clubatmosphäre, die so gar nicht rückwärtsgewandt, sondern ziemlich zeitgemäß wirkt. Auch hier wird die Vergangenheit wieder zum Zitat für Neues.

Obwohl Sevigny mit dem ,,Kenmare“ unter Beweis stellen wollte, dass er erwachsen geworden ist, kann er einfach nicht die Finger Iassen vom Underground. Erst im Herbst des vergangenen Jahres hat er unterhalb des Restaurants einen Club im Keller eröffnet. Das weiß getünchte, organisch geformte Gewölbe mit höhlenartigen Nischen lässt das Untergeschoss wahlweise wie eine entrückte Mondlandschaft oder das Innere einer Lavalampe wirken. Dazu: weiße Lederbänke und eine übergroße Discokugel – ein Relikt aus dem,,Beatrice“. Um noch eins draufzusetzen, eröffnete Sevigny fast zeitgleich, pünktlich zum Start der NewYorker Modewoche, den Punkrockschuppen,,Don Hill’s“ – seine Art zu beweisen, dass er immer noch ein lässiger Hund ist.

Es braucht eine gute Portion Fantasie, um Paul Sevigny den draufgängerischen Outlaw abzunehmen, wenn er so businessmäßig dasitzt im dunkelblauen Maßanzug, der grünen Strickkrawatte und dem akkurat frisierten Seitenscheitel. Doch dieser Mann hat Beweise. Sein Wohnzimmer ist mit einem Musikequipment ausgestattet wie sonst das Tonstudio eines Rockstars. Unweit seines Schreibtischs etwa steht ein Gitarrenverstärker der Firma Orange. ,,Der kann richtig Gas geben“, kommentiert Sevigny das seltene Stück einer frühen Edition. ,,Die Erfahrung mit dem ,Beatrice‘ hat mich allerdings gelehrt, Rücksicht auf meine Nachbarn zu nehmen“, schiebt er kichernd nach.

Ebenso sorgfältig ausgesucht und ein weiterer Beweis seines guten Geschmacks ist Sevignys Gitarrensammlung. An ein Holzregal gelehnt eine Kollektion, die jeden Gitarrenfreak vor Neid erblassen lässt. Neben einer Akustikgitarre von Martin aus dem Jahr 1983 steht eine weiße Gibson-SG-Junior- E-Gitarre von 1963, sowie eine absolute Rarität: eines der ersten Modelle einer Dan-Armstrong-E-Gitarre aus Plexiglas.

Was Musik betrifrt, ist Sevigny ein Gourmet. Davon zeugt auch seine beachtliche Plattensammlung. Sein Bücherregal ist ein umfunktioniertes Plattenlager mit rund 9000 Scheiben. Wenn er für DJ- Gigs gebucht ist, kann es schon mal sein, dass er einen halben Tag eine bestimmte Platte sucht – und dass er dann, wenn er erfolgreich war, mit fünf schweren Kisten das Haus verlässt. Genau deshalb tauschte er vor zehn Jahren seine Dachgeschoss- gegen die Erdgeschosswohnung im selben Haus. Sevigny lebt bereits seit 1995 in diesem Gebäude – und profltiert damit von einer geschützten, unfassbar günstigen Miete.

15 Jahre in demselben Gebäude zu wohnen, das hat in New York so einen Seltenheitswert wie das Railroad-Apartment, das Sevigny bewohnt. Wie der Name ahnen lässt, ist das Apartment in die Länge gezogen wie Eisenbahnwaggons. Um vom Wohnbereich ins Schlafzimmer zu gelangen, muss man erst durch die Küche gehen. Eine Wohnung, die so eng ist, dass PauI Sevigny schließlich die Wände einreißen ließ. Jetzt kann er sich nicht nur wie in einem Loft fühlen, er hat auch mehr Raum für seine Kunst, die er sammelt: ein von ,,Kids“-Regisseur Larry Clark gestaltetes Skateboard, das Cover eines Minor- Threat-Albums, das ihm der Künstler Tom Sachs einst als Honorar für einen DJ-Gig gegeben hat, oder das Bild des US-Malers Christopher Wool, das in seinem Flur hängt. ,,Fuck ‚Em If They Can’t Take A Joke“ steht dort in großen, schwarzen Lettern auf weißer Leinwand geschrieben. ,,Scheiß auf die, die keine Witze vertragen.“ Passender könnte ein Kunstwerk nicht die Lebenseinstellung seines Eigentümers zusammenfassen.

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