Nils Binnberg
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Süddeutsche Zeitung

Juli 2013

Der Blumenhändler

Unvorstellbar, dass jemand wie Erdem Moralioglu bald mit Waffe, Helm und Uniform in einem türkischen Schutzgraben liegen könnte! Dieser blasse Designer, der mit gestärktem Poloshirt, gebügelten Chino-Hosen, Retro-Brille und akkurat gescheitelten Haaren in seinem Londoner Büro sitzt wie ein nerdiger Elite-Student? Der unter seinem weich klingenden Vornamen Kleider entwirft, die so gar nichts Martialisches haben? Doch, doch versichert er. Gerade erst hätte er Post aus Istanbul bekommen, dass er seinen Militärdienst noch nicht angetreten habe. Obwohl er eigentlich Kanadier ist. Durch eine Unachtsamkeit seines türkischen Vaters, wurde er mit dessen Pass in Montréal gemeldet. Doch Erdem nimmt es mit Humor. „Ich bin Brite mit einem kanadischen Akzent. Für die bin ich vollkommen nutzlos“.

Dass Erdem gerade Wichtigeres zu tun hat, beweist die Geschäftigkeit in seinem Studio im Osten Londons. Ein Dutzend adrett gekleidete Mädchen schwirren durch den verwinkelten Raum und schieben viel zu dicke Rollen mit Stoffen hin und her. Die kleinen Nähmaschinen surren pausenlos, Scheren schneiden sich durch Schnittmuster und feines Musselin. Egal, wohin man blickt: überall liegen Stoffbahnen mit den für Erdem typischen fluoreszierenden Blütenprints. Keine Eins-zu-eins Abbildungen von Rosen, Veilchen oder Chrysanthemen wie man sie von anderen Designern kennt. Eine Erdem-Blume ist ein kleines Kunstwerk.

Im Prinzip entsteht sie so: ein Blumenfoto wird eingescant, digital bearbeitet und anschließend von Hand übermalt, dann wieder digitalisiert. Am Ende sieht der Druck so aus wie eine Blumenwiese, die man bei 200 Sachen aus dem Autofenster sieht. Alleine dieser Anblick versetzt Frauen gerade weltweit in einen Rausch. Röcke, Kleider, Hosen und Shirts mit Blumenprints zählen zu seinen Bestsellern.

Modekenner reiben sich noch immer ganz verwundert die Augen, dass Erdem scheinbar aus dem Nichts zur Cashcow für die Modeindustrie wurde. So rasant wie seine Prints war auch sein Aufstieg. Gleich seine erste Kollektion für Herbst/Winter 2006 konnte er an New Yorks bekanntes Modekaufhaus Barneys verkaufen – und das, obwohl die Präsentation, wie er rückblickend erzählt, „ein Unfall“ war. „Ich hatte keine Ahnung, dass man dazu einen Stylisten oder Casting-Agenten engagiert und habe alles selber gemacht. Jedes Model habe ich selbst ausgesucht, angezogen und parallel alle Schuhe von Hand mit schwarzem Lack besprüht“. Geschadet hat es nicht, im Gegenteil: Einkäufer und Kritiker erkannten auf Anhieb Erdems Potenzial. Und so wurde aus dem Nachwuchsdesigner vom Royal College of the Arts auf einmal der neue Stardesigner aus East London.

Es gibt heute fast keinen Modepreis, den Erdem in seiner Wahlheimat noch nicht gewonnen hat, fast kein Luxusgeschäft in China, Russland, Nordamerika oder Europa, das seine Mode noch nicht verkauft. Für Einkäufer ist sie eine sichere Bank, die Sachen gehen oft noch vor dem offiziellen Sale weg. Gerade die kostspieligen Teile laufen gut; Kleider, die bis zu 3000 Euro kosten und aus derselben Spitze wie ein Chanel-Couture-Kleid gearbeitet sind. Und wer jetzt noch versucht, die flaschengrüne Seidenbluse und den nachtblauen Bleistiftrock mit leuchtendem Blütenprint aus der aktuellen Prefall-Kollektion zu ergattern: keine Chance. „Die Kollektion hat einfach eine unverwechselbare Identität“, erläutert Justin O’Shea, Buying Director von mytheresa, die Erdem-Hysterie. „Die Looks verbinden vollkommen mühelos die ultra-feminine Raffinesse von 50er-Jahre-Couture mit der modernen, digitalen Kultur. Das trifft bei vielen Frauen gerade einen Nerv“.

Wenn Erdem Kurzmäntel mit aufgeblasenen Ärmeln macht, Oversize geschnittene Jacken mit breiten Kragen oder schmal geschnittene Kostüme hat das niemals etwas Altmodisches. Das allzu Hübsche verfremdet er mit androgynen oder schrägen Details, die im Common Sense als hässlich gelten. Dafür benutzt er schon mal Prints, wie man sie von muffigen Vorhängen aus 60er-Jahre Motels kennt (natürlich mit Blumenmuster), so wie bei einem A-Linien-Kleid in seiner Resortkollektion für den nächsten Sommer. Ein anderes Modell, ein Etuikleid, ist mintfarben, vorne aus feinem Wollkrepp mit aufgesetzten Lederblüten, hinten aus mattem Neopren mit einem dicken Zipper bis zum Saum – was, wie er sagt, als Reverenz an sein Lieblingshobby gedacht war: das Schwimmen.

Im Prinzip sind seine Entwürfe wie der knallrote Lippenstift seiner früheren Klassenlehrerin

Man sieht in seiner Arbeit weder eine Spur von der Punk-Attitüde einer Vivienne Westwood oder dem Seventies-Glam der Diane von Fürstenberg, in deren Ateliers er nach seinem Studium gelernt hat. Das Erdem-Vokabular kennt nur zwei Begriffe: feminin und cool. Einerseits sind seine Entwürfe wie der knallrote Lippenstift seiner Klassenlehrerin oder das Guerlain-Parfüm seiner Mutter: weibliche Codes, die er in seiner Jugend erlebt hat und die seiner Mode eine Couture-Sensibilität geben. Und andererseits zeugen die schamlosen Wolfgang Tillmans-Fotos mit nackten Teenagern, die in seinem Büro an der Wand hängen, vom Erdem-Cool…

Wer eine seiner Kreationen schon einmal auf einem Kleiderbügel gesehen hat, der weiß wie hochwertig und teuer seine Kleider aussehen. Und fast magisch zieht es Frauen in seinen Shop bei Harvey Nichols oder im Dover Street Market. „Die Präsentation auf dem Catwalk ist das eine“, philosophiert er. „Das andere ist, dass die Sachen sitzen müssen. Ich bin besessen von der Passform. Erdem passt jeder Frau, sogar einer Größe 44“.

Es ist tatsächlich verblüffend, wer alles in seinen Kleidern gut aussieht. Am besten lässt es sich an den ganzen Celebritys durchdeklinieren, die mitgeholfen haben, das Label bekannt zu machen. Das stöckchendürre Modepüppchen Alexa Chung? Na klar! Die glamouröse Julianne Moore? Sowieso. Selbst der etwas zu pummelige Girls-Star, Lena Dunham, wirkt in seiner Mode nicht verkleidet. Beim vergangenen Met Ball in New York erschien sie vollkommen selbstverständlich in einem von ihm maßgefertigten Abendkleid aus schwarzem Organza. Den echten Erdem brachte sie als Accessoire gleich mit. So schnell kommt ein Designer sonst nur in einem transparenten Spitzenkleid und weißen Boxershorts darunter in die Schlagzeilen – so wie Marc Jacobs beim Met Ball davor.

Die London-Fashion Week ist für Einkäufer und Presse inzwischen fast wichtiger als die Milano Moda. Und auch, wenn Erdem es  natürlich niemals aussprechen würde – dafür ist er viel zu bescheiden: Dieser Trend geht auch auf sein Konto. Spätestens seit er im Frühjahr 2008 eine seiner stärksten Kollektionen zeigte – mit Spitze überzogene Trenchcoats, die gleich darauf zigfach kopiert bei Zara hingen – und damit Anna Wintour und ihre Vogue-Entourage zur Show ins Somerset House lockte, hat die Veranstaltung spürbar an Fahrt aufgenommen. Wer für die US-Vogue stattfindet, findet international statt. Erst kam die Wintour an die Themse, dann kehrte die britischste aller Marken, Burberry, mit ihren Schauen wieder zurück nach Hause.

„Die junge Designergeneration hat eine Bewegung gestartet, die keinen Regeln oder der Geschichte folgt,“ erklärt Justin O’Shea von mytheresa das Phänomen. „Es ist diese Authentizität in ihren DNAs, die den ungebrochenen Erfolg anfeuert“. Wer heute an Mode made in London denkt, hat sofort die bunten Neoprenkleider von Peter Pilotto und die Kachel-Prints von Mary Katranzou vor Augen, die Rüschenkollektion von J.W. Anderson, die Gorilla-Kleider von Christopher Kane und eben auch die Blumen-Looks von Erdem. Früher sind Galliano, McQueen und Pugh für die Karriere nach Paris gegangen, heute kommt Tom Ford aus dem gleichen Grund von New York nach London.

Wie etabliert die Londoner Designer inzwischen sind, lässt sich auch an den jüngsten, wirtschaftlichen Ereignissen ablesen. Christopher Kane wurde aufgekauft von der millionenschweren, Pariser Modegruppe Kering (vormals PPR), zu der auch Gucci, Stella McCartney und Saint Laurent gehören. J.W. Anderson ist nach Christopher Kane der nächste Brite, der für Versus, die Schwesterkollektion von Versace, entwirft. Auch bei Erdem wurde schon häufiger gemutmaßt, welchen Zweitjob er demnächst wohl bekommen wird. Schiaparelli ist ein Name, der in seinem Zusammenhang immer wieder fällt. Darauf angesprochen, wird er plötzlich einsilbig. „Bei so etwas fühlt man sich als Designer natürlich geehrt“, antwortet er und lächelt dabei verlegen. „Mehr kann ich dazu nicht sagen“. Bisher hat es für ihn ja auch ohne Backup sagenhaft funktioniert.

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