Nils Binnberg
Michaelkirchstraße 12
10179 Berlin

post@nilsbinnberg.de

Süddeutsche Zeitung

November 2013

Der neue Diesel Turbo

Als Kreativchef eine Labels muss man im digitalen Zeitalter nicht mehr nur schöne Kleider, sondern Gesamtkonzepte schneidern können. So wie Nicola Formichetti. Ehemals Modechef bei der japanischen Vogue Hommes und Lady Gagas Mann für die richtigen Outfits – das berühmte Fleischkleid zum Beispiel geht auf seine Kappe –, gehört er heute zum erlesenen Kandidatenkreis der Label-Entstauber. Nach Mugler ist jetzt Diesel dran: Renzo Rosso, der italienische Diesel-Gründer und Modemagnat, hat ihn gerade zum neuen Creative Director gemacht. Die erste Kollektion ist jetzt auf dem Markt. Formichetti trinkt beim Treffen im Londoner Sanderson Hotel Martini und lässt nervös sein Smartphone von der einen in die andere Hand gleiten. „Ich bin süchtig nach diesem Ding“, outet er sich lachend. Den ersten digital Detox, einen Entzug von digitalen Medien, habe er schon hinter sich, aber jetzt sei er wieder drauf. Das Casting für seine erste Diesel-Kampagne fand virtuell statt: auf Tumblr und Instagram. Gut möglich also, dass dieser Mann Diesel zu alter Street-Credibilty verhelfen wird.

Kennen Sie Ihren aktuellen Klout-Wert? Nicola Formichetti: Was bitte?

Klout, der Web-Algorithmus, der misst, wie viel Macht ein User mit Facebook, Twitter oder Tumblr hat. 100 ist die Bestnote. Spoiler: Ihrer ist 83. Ach so, K-L-O-U-T! Ja, kenne ich. Vor ein paar Monaten lag ich noch bei 75. Toll! Was ist denn da in der Zwischenzeit passiert?

Ganz einfach: Fast 69 000 Follower auf Instagram, im Schnitt 2000 Likes auf Tumblr. Und das Facebook-Limit von 5000 Freunden ist bei Ihnen längst erschöpft. Selbst Ihren nackten Hintern können wir auf Ihrem Blog sehen. Weil mein Freund umerzählt, ich hätte einen flachen Arsch. Das wollte ich richtigstellen. Ich bin aber nicht der Einzige, der so viel von sich preisgibt. Ich kenne niemanden mehr, der nicht bei Instagram ist. Am Anfang waren sich viele Modeleute zu fein für Social Media. Das war nicht elitär genug. Aber in der Mode geht es wie nirgends sonst um das Jetzt. Die Leute haben gelernt: Je mehr Follower man hat, umso mächtiger ist man im Business.

Das müssen Sie erklären. Der Wert einer Sache wird doch heute danach bemessen, wie viele Likes etwas hat. Ein Bild mit zehn Likes hat weniger Macht als eines mit 100, selbst dann, wenn es qualitativ hochwertiger ist – weil es sich im Netz nicht verbreitet. Die Gesetze von Social Media sind erbarmunglos. Was nicht gefällt, findet nicht statt. Das ist etwas, das mir an der digitalen Kultur eigentlich nicht gefällt. Wenn ich mir das Instagram-Profil von Nick Knight angucke…

…dem britischen Modefotografen, der auch die Kampagne zu Ihrer ersten Diesel-Kollektion geschossen hat. Dann rege ich mich rasend auf. Da sieht man unglaublich schöne, wirklich professionelle Bilder. Und am Ende haben sie eniger Likes als ein Foto mit einem kleinen Katzenbaby. Aber so sind eben die Dynamiken im Netz.

Sie veranstalten Online-Castings und haben Ihren eigenen Youtube-Kanal: Man könnte meinen, Sie seien Social Media Manager und nicht Kreativ-Direktor. Das gehört einfach inzwischen zum Job. Ich mache ja auch meine komplette Recherche auf Tumblr, wo ich ständig inspirierende Bilder finde. Das ist viel konkreter als Google, weil sich dort viele kreative Menschen mitteilen. Aber am Ende des Tages kann man im Netz so aktiv und erfolgreich sein, wie man will: Die Klamotten müssen funktionieren. Wenn Sie Schrott sind, verkaufen sie sich nicht. Dann ist es egal, wie mächtig man im Netz ist.

Ihrem neuen Chef gehören neben Diesel auch Hochglanz-Labels wie Viktor & Rolf und Martin Margiela. Waren die nicht reizvoller für Sie als die, Verzeihung, italenische Prollmarke? Nein. Das Beste an meinem Job: Ich einen kriege Rabatt bei Margiela! Aber Scherz beiseite: Im Unterschied zu Mugler können sich die Leute Diesel-Klamotten leisten. Mir gibt es total viel, wenn ich jemanden in meinen Sachen sehe. Ich wollte einfach zu einem Modelabel, das Relevanz auf der Straße hat. Mugler, das trugen die Stars. Das war Theater und hatte nichts mit der Realität zu tun. Klar, als Kreativ-Direktor der japanischen Kette Uniqlo habe ich auch vorher schon die Massen erreicht. Aber Diesel ist anders. Es ist modischer, mehr Streetwear. Etwas, das meine Freunde tragen würden.

Noch tragen die aber viel lieber die Jeans von Acne oder Cheap Monday. Die schwedischen Marken sind heute das, was Diesel in den Neunzigerjahren mal war. Was ist da passiert? Ich glaube, das Unternehmen ist zu schnell gewachsen und dann zu sehr Mainstream geworden. Aber die Leute tragen noch immer Diesel! Die Firma ist unglaublich erfolgreich, also haben sie auch immer noch ein große Fangemeinde. Es sind natürlich noch nicht die Kunden, die ich mir wünsche. Aber nächstes Jahr werden alle coolen Leute, Typen wie meine Freunde, wieder Diesel tragen. Da bin ich selbstbewusst.

Wenn es nach Ihnen geht, ziehen die dann auch Jog-Jeans an: eine hautenge Jogginghose im Denim-Look. Warum sollten sie das tun? Ganz einfach: Weil es unfassbar bequem ist! Als ich das Diesel-Stammhaus in Bassano del Grappa zum ersten Mal besucht habe, habe ich die Hosen als erstes im Lager entdeckt. Renzo sagte: „Nein, Nicola, die haben schon vor einigen Jahren nicht auf dem Markt funktioniert.“ Und ich habe darauf bestanden: „Wir müssen sie unbedingt neu auflegen!“ Bei der Marketing-Power, die Diesel hat, gehen gute Ideen eben nicht unter. Bei Mugler hatte ich keine Unterstützung für meine Idee. Da habe ich alles allein gemacht. Okay – Lady Gaga und andere Stars haben mir natürlich schon sehr geholfen.

Gaga, gutes Stichwort: Die haben Sie jetzt nicht mehr als Werbefläche. Erst kürzlich haben Sie bei ihr als Stylist gekündigt. Die hätte sowie nie Jeans getragen. Aber um ehrlich zu sein: die Verbindung von Mode und Celebritys hat mir noch nie gefallen. Ich habe nie gerne mit Stars zusammengearbeitet. Die sind alle egozentrisch und haben ihre ganz eigenen Vorstellungen von ihrem Image. Das grenzt meine Kreativität als Stylist natürlich ein. Aber mit Gaga war es anders. Wir haben eine Fantasiefigur erschaffen. Es ging nie darum, Klamotten zu verkaufen – wir wollten Träume verkaufen. Ich habe Vintage-Kleider von Versace mit Sachen von Jungdesignern gemischt, Kostüme schneidern lassen. Für jeden Anlass das passende Traumkleid.

In der offiziellen Pressemitteilung zu Ihrer Trennung heißt es, Sie hätten keine Zeit mehr für den Job gehabt. Was ist wirklich passiert? Doch, das stimmt wirklich. Ich habe fünf Jahre mit ihr zusammengearbeitet, zwei Alben begleitet. Am Ende war es ein 24-Stunden-Job. Gaga zieht sich zwölf Mal am Tag um. Das muss man sich mal vorstellen! Es ist total verrückt. Ich hatte keine Zeit mehr für andere Projekte. Sie wird aber meine ABF bleiben. Für immer.

ABF? Sie meinen das Teenie-Kürzel für allerbeste Freundin? Genau. Gaga hat mich immer bedingungslos unterstützt. Ich verdanke ihr sehr viel. Sie war es, die mir riet, Mugler zu machen. Sie war es, die mir Twitter gezeigt hat und mich vor die Kamera gezogen hat. Obwohl ich mich da nie besonders wohlgefühlt habe. Ich habe mich bis heute nicht dran gewöhnt, dass mich plötzlich Leute auf der Straße erkennen. Aber das ist okay für mich. Ich bin nämlich gegen die Idee vom unantastbaren Star, mich darf jeder ansprechen. Deshalb bin ich auch ein Fan von Social Media. Man bekommt ein ehrliches Feedback, nichts ist zwischengeschaltet. Wir brauchen keine Marketingleute. Wir brauchen noch nicht mal mehr Modemagazine!

Gewagte These, immerhin arbeiten Sie noch immer als Stylist für Zeitschriften wie dem New Yorker „V Magazine“. Es ist meine große Leidenschaft, Editorials zu produzieren und ein Image zu entwickeln. Und ich war immer ein großer Fan von Modezeitschriften. Was ich meine, betrifft den Leser. Früher war es eine religiöse Erfahrung, darauf zu warten, dass die neue Ausgabe der italienischen Vogue erscheint. So ist das heute nicht mehr. Wir sind übersättigt mit Bildern. Magazine sind wie Fast-Food: Man blättert schnell durch und ist danach nicht befriedigt.

Wie unberechenbar Social Media im Gegensatz zu Print sein kann, mussten Sie selbst auch schon erleben. Nach einem Interview im W-Magazin hatten Sie Ihren ersten Shitstorm. Sie lästerten damals über dicke Menschen. Ich war wirklich erschüttert, wie groß diese Sache aufgeblasen wurde. Ich hatte es als Witz formuliert, dass ich nie mit dicken Leuten arbeiten würde, was der Journalist offenbar nicht verstanden hat. Nun stehe ich als totales Arschloch da. So ein oberflächlicher Modetyp. Egal. Ich habe daraus gelernt, vorsichtiger damit zu sein, was ich sage. Ich bin jetzt an einem Punkt in meiner Karriere, da wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Alles was ich sage, verbreitet sich sofort im Netz. Social Media ist kein Spielzeug. Es ist Realität. Trotzdem werde ich nach wie vor Witze machen. Das lasse ich mir nicht nehmen.

Nach Oben