Nils Binnberg
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Welt am Sonntag

November 2012

„Ich träume
von Motten“

Seinen Schnauzer hat Hamish Bowles vor ein paar Monaten abrasiert. Das macht den exzentrischen Modejournalisten, der mit Vorliebe bunt gemusterte Anzüge trägt, nicht unauffälliger. Seit 1992 schreibt der Brite über Design, Mode und Lifestyle für die amerikanische „Vogue“. Er gilt als wandelndes Modelexikon und ist in seiner Wahlheimat New York so bekannt, dass er in der Manhattan-Serie „Gossip Girl“ schon mal sich selbst verkörpern durfte. Seine Leidenschaft für schöne Dinge erstreckt sich auch auf Möbel, Kunst und Designobjekte, die er so eifrig sammelt, dass er nun Platz schaffen muss. Kommende Woche versteigert er einen großen Teil seiner Sammlung – für einen guten Zweck, wie er versichert.

Herr Bowles, ist so eine Auktion nicht eine gute Möglichkeit, unliebsame Geschenke von Freunden los zu werden? Ich bitte Sie! Ich möchte gar nichts loswerden. Ich wäre sogar sehr erfreut, wenn sich meine Sachen als Ladenhüter herausstellen sollten und wieder bei mir landeten. Ich liebe jedes einzelne Stück. Die meisten meiner Freunde kommen aus dem Mode- und Designbereich. Ich freue mich immer über ihre Geschenke!

Sind Sie ein kleiner Messie? Ein wenig, ja. Als ich mich für die Versteigerung entschied war es, und das klingt jetzt wirklich nach einem schlechten Klischee, sehr befreiend. Ich hätte noch mindestens hundert weitere Dinge verkaufen können! Aber ob ich sie wirklich hergeben könnte? Schwierig. Viele habe eine sentimentale Bedeutung.

Trotzdem haben Sie ganz schön, Verzeihung, entrümpelt. Was steht jetzt überhaupt noch in Ihrer Wohnung? Die meisten Stücke aus der Auktion stammen aus meiner alten Wohnung in London, die ich vor einiger Zeit aufgegeben habe. Bevor sie in einem Container vor sich hin gammeln, dachte ich, ich verkaufe sie besser. Natürlich sind es alles persönliche Gegenstände, aber sie passen einfach nicht mehr in mein neues New Yorker Appartment. Früher hatte ich einen sehr eklektischen Stil. Ein bisschen 18. Jahrhundert, ein wenig 70er- Jahre Charme und Objekte aus der neueren romantischen Periode der 30er-Jahre. Jetzt bin ich eher Proust: melancholisch, träumerisch und gemütlich.

Aber ihre sachlichen Tillmans- und Höfer-Fotografien müssen nun weichen. Dabei werden die wohl in ein paar Jahren viel mehr wert sein. Ich habe noch nie etwas als Anlageobjekt gekauft. Was wahrscheinlich falsch ist. Meine ganzen Freunde aus dem Kunstbetrieb kaufen ausschließlich mit diesem Zweck und haben damit schon ein halbes Vermögen verdient. Oh Gott, wenn ich daran denke, wie reich ich schon sein könnte! Aber alles, was ich bisher gekauft habe, habe ich aus dem Bauch heraus entschieden. Deshalb könnte ich etliche Dinge niemals verkaufen.

Was fangen Sie mit dem Geld an, das die Auktion bringen wird? Meine wahre Sammelleidenschaft galt immer der Mode. Heute besitze ich 3000 Haute-Couture-Teile, die in Containern über halb New York verteilt sind. Das reicht von Entwürfen von Charles Frederic Worth, dem Erfinder der Haute Couture aus dem späten 19. Jahrhundert, bis zu Teilen aus den ersten Kollektionen von John Galliano. Ich hoffe, diese Auktion bringt so viel Geld ein, dass ich damit mein Archiv besser verwalten und die Kleidungsstücke erhalten kann. Es würde mich freuen, wenn meine Sammlung irgendwann Museen oder Modestudenten zur Verfügung stehen könnte.

Vermutlich sind Sie Experte beim Kampf gegen Motten? Oh Gott, ja! Alleine der Gedanke an diese Biester hält mich nachts wach. Manchmal schrecke ich aus dem Schlaf auf, weil ich geträumt habe, dass alle meinen wunderbaren Couture Teile von Motten zerfressen wurden. Ich beziehe die Stücke ja von Ebay, Kunst- händlern, Flohmärkten. Die müssen erst einmal porentief gereinigt werden. Aber es gibt diese neue Technik, bei der der Sauerstoff aus der Kleidung gesogen wird und dabei alles abgetötet wird, das dem Kleidungsstück gefährlich werden könnte. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal für Technik begeistern könnte!

Haben Sie schon immer so leidenschaftlich Mode gesammelt? Oh ja! Ich habe schon mit sechs oder sieben Jahren angefangen. Am Anfang waren es Dinge wie viktorianische Handtaschen aus Meerschweinchen, bestickte Hausschuhe oder 20er-Jahre-Tanzschuhe. Mit elf hatte ich dann meinen ersten „Fashion Moment“. Bei einer Wohltätigkeitstombola habe ich einen Balenciaga- Anzug aus den frühen 60ern erstanden.

Waren Sie damals auch schon so auffällig angezogen? Das kam erst als ich Student am Londoner St. Martins College war. Mein Freund John Galliano, mit dem ich studierte, hat mich ausgestattet. Ich war einer der ersten, der seinen Männerrock trug. Dazu habe ich dann Brogues aus Krokoleder kombiniert, einen Hermès Schal und eine Shoulderbag von Chanel. Wir hatten einfach Spaß daran, Geschlechterstereotypen aufzumischen. Das war ja sehr in Mode. Gaultier oder Vivienne Westwood haben das auch gemacht. Es war eher so ein Studenten- Nachtklub-Ding.

Wie oft sind Sie verprügelt worden? Nie! Als Modestudent habe ich in einer Blase gelebt. Als ich 1984 nach New York kam, bin ich in den schrägsten Outfits mit der Subway gefahren. Damals war es dort noch richtig ungemütlich. Aber ich war so selbstbewusst, dass mir nie etwas passiert ist. Die einzige kritische Situation, die ich erlebt habe, war im Café de Paris. Ich trug eine pinkfarbene Tweed- Jacke von Chanel, die ich gerade in einem Presseverkauf erstanden hatte. In dem Moment betritt die Modejournalistin Caroline Kellet den Raum – mit derselben Jacke. Sie war am Boden zerstört. Ich habe mich köstlich amüsiert.

Wahrscheinlich war es auch Ihre Idee, für ein Shooting mit dem Fotografen Steven Meisel, in einer Korsage und sonst nichts zu posieren? Entgegen langläufigen Meinungen trage ich nie Sachen aus meiner Sammlung. Wir haben damals in meinem Apartment für ein Shooting der italienischen „Glamour“ den ganzen Tag die aufwendigsten Looks ausprobiert. Nichts hat funktioniert. Auf einmal kam Steven mit dieser Korsage an. Ich dachte nur: oh mein Gott! Da soll ich reinpassen? Wenn ich vorgewarnt gewesen wäre, hätte ich noch schnell eine Diät gemacht. Jetzt ist da diese kleine Speckfalte.

Darum versteigern Sie das Foto also! Nein, gar nicht. Steven hat mir einen handsignierten Erstdruck geschenkt. Das Bild ist eine Kopie. Das würde ich nie weggeben. Es ist eine gute Motivation, in Form zu bleiben.

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