Nils Binnberg
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Süddeutsche Zeitung

März 2012

„Kurven sind nicht mein Ding“

Ein Atelier im Pariser In-Viertel Marais, ein paar Tage nach den Modenschauen für Herbst / Winter 2012. Anthony Vaccarello trägt ein graues Sweatshirt, Blue- Jeans und knöchelhohe Nike-Turnschuhe. Seine Show war das „hottest ticket“ der Pariser Modewoche – so nennen es Redakteure gerne, was so viel bedeutet wie „der absolute Knüller überhaupt“. Aufgewachsen ist der 32-Jährige in Brüssel als Sohn streng katholischer Sizilianer. Bis 2006 hat er an der belgischen Modeschule La Cambre studiert, um dann für zwei Jahre als Designer bei der Luxusmarke Fendi in Rom zu arbeiten. 2008 gründete er sein gleichnamiges Damenlabel. Seine aktuelle Sommerkollektion – knallenge, asymmetrische, überwiegend schwarze Minikleider und Jumpsuits – hängt in angesagten Boutiquen wie Colette in Paris und Maxfield in Los Angeles. Bei dieser Power-Mode kaum zu glauben: Anthony Vaccarello spricht sehr leise. Es scheint fast, als wäre ihm der Wirbel peinlich, der um ihn gemacht wird.

Eines müssen Sie uns verraten: Wie haben Sie es hingekriegt, dass Top-Models wie Anja Rubik und Karlie Kloss gratis für Sie laufen? Sie meinen, weil deren Gagen sonst bei 10 000 US-Dollar pro Show liegen? Das war ganz einfach. Ich habe Anja und Karlie bei einem Abendessen hier in Paris kennengelernt. Sie hatten kurz zuvor einen Artikel über meine Mode gelesen und waren neugierig. Also habe ich sie in meinen Showroom eingeladen. Die Cut-Out- Kleider waren wie für sie gemacht. Daraufhin haben sie ihren Agenten gesagt: ,Für den laufen wir umsonst!‘

So wurde Carine Roitfeld auf Sie aufmerksam, die ehemalige Chefin der Pariser „Vogue“, die seither bei Ihnen in der Front Row sitzt, neben Starfotograf Terry Richardson und Rapper Kanye West. Mit Leuten wie Kanye bin ich befreundet. Ohne Hintergedanken. Seine Musik gefällt mir einfach gut.

Setzt Sie der schnelle Erfolg nicht unter Druck? Nein. Ich lese grundsätzlich nicht, was Journalisten über meine Kollektionen schreiben. Davon würde ich mich zu sehr verunsichern lassen.

Die Journalisten schreiben aber sehr nette Sachen über Ihre asymmetrischen Stretchkleider mit Riesenschnallen und Cut-outs. Die sehr an die Mode des jungen Gianni Versace erinnern . . . Als Teenager war ich tatsächlich ein großer Versace-Fan. Es liegen zwar bestimmt zwanzig Jahre zwischen unseren Kollektionen, aber dass wir eine ähnliche Vorstellung von Frauen haben, lässt sich wohl nicht leugnen. Mir hat aber auch immer gefallen, was Azzedine Alaïa und Helmut Lang gemacht haben. Wenn Sie sich meine Mode genau ansehen, werden Sie die Einflüsse von allen drei Designern erkennen: Das Körperbetonte kommt von Gianni, das Graphische von Helmut und von Alaïa, nun ja, das sehr Französische eben.

Vor allem beherrschen Sie die Versace-typische Sexiness, als hätten Sie Gianni einst bei seiner Arbeit über die Schulter geguckt. Dabei haben Sie vorher Pelzmode entworfen. Was haben Sie bei Fendi, unter Karl Lagerfeld, gelernt? Diszipliniert zu arbeiten. Und dass man eine Menge Kollektionen schaffen kann, wenn man ein gutes Team um sich hat. Bei Fendi zu arbeiten, war eine wichtige Erfahrung. Karl hat mir gezeigt, wie ich meine Kreativität voll ausnutzen kann, das Unternehmen Fendi, wie man geschäftsorientiert arbeitet.

Apropos Disziplin: Die muss auch haben, wer Ihre Kleider tragen will. So eine Kreation besteht eigentlich mehr aus Körper als aus Kleid. Mein Ziel ist es nicht, möglichst viel Haut zu zeigen. Es geht nicht einfach nur um ein sexy Kleid. Ich will den Körper kunstvoll verzieren, es geht in erster Linie um die Konstruktion. Ich bin mir bewusst, dass viele Frauen noch nicht bereit dafür sind. Für meine Mode braucht man einen starken Körper und Willen.

Ihre Kleider hören dort auf, wo bei vielen Frauen die Problemzonen erst anfangen. Ich mache keine Mode, sagen wir, für gut gebaute Frauen. Kurven, wie sie in den 90er Jahren als Ideal galten, sind nicht so mein Ding. Ich finde es moderner, ein sexy Outfit an einem androgynen Körper zu sehen. Schauen Sie sich nur einmal meine sehr gute Freundin, die Sängerin Lou Doillon, an . . .

Die hübsche Tochter von Jane Birkin und Filmemacher Jacques Doillon? Für mich hat sie den perfekten Body, deshalb ist sie die Vorlage für meine Kollektionen. Ich stelle mir vor: Was wird sie diese Saison anziehen? Wie wird sie es tragen? Das verortet meine Mode in der Realität.

Sie finden, dass ‚Size Zero‘, dieses sehr magere Ideal, der Realität entspricht? Sagen wir es so: Nicht jede Frau hat die Figur für meine Kleider. Aber für mich ist es ein Kompliment, wenn eine junge Frau sagt, dass sie in meine Entwürfe nicht reinpasst und davon träumt, so auszusehen wie die Models. Ich schaffe einen Anreiz dafür.

Vorsicht, nicht wenige Leserinnen werden Sie jetzt hassen – und Ihnen einen übertriebenen Schlankheitswahn vorwerfen. Was ist daran verwerflich, an seinem Körper zu arbeiten? Genau dazu soll meine Mode animieren. Ich benutze sie als Disziplinierungsmittel. Sehen Sie, früher hatte ich ein paar Kilos zu viel auf den Hüften. Dann kam plötzlich Hedi Slimane mit seiner superschmalen Silhouette für Dior Homme. Um darin gut auszusehen, musste man richtig dünn sein. Und ich wollte darin gut aussehen. Wenn Sie so wollen, hat mir Hedi geholfen abzunehmen.

Dann freuen Sie sich sicher, dass Hedi Slimane als Designer zurückkehrt, dieses Mal für das französische Modehaus Yves Saint Laurent. Sind das nicht tolle Nachrichten? Wir haben ihn alle so vermisst. Ich freue mich schon jetzt auf seine messerscharf geschnittenen Designs.

Für die hat sich auch Lagerfeld runtergehungert. Wie haben Sie ihn bei Fendi wahrgenommen? Er gilt ja als ein wenig weltfremd. Ich dachte auch immer, er sei sehr kalt und distanziert. Das liegt aber nur an seiner Entourage, die ihn so erscheinen lässt, weil sie alles von ihm fernhält. Kommt man einmal an ihn heran, ist er sehr herzlich und für jemanden, der so berühmt ist, sehr normal. Karl ist sehr höflich und professionell.

Bei Balmain und Dior designen auf einmal die ehemaligen Assistenten, bei Kenzo zwei junge Amerikaner, die vorher eine Boutique leiteten. Ist die Ära des Stardesigners vorbei? Ich denke nicht. Dass Hedi von Yves Saint Laurent zurückgeholt wird, spricht doch dagegen. Die großen Modehäuser brauchen einfach einen großen Namen, der ihren Produkten Persönlichkeit gibt. Bei diesen ganzen Pre- und Cruise-Kollektionen, die immer wichtiger werden, ist ein starker Designer bedeutsamer denn je. Wir sind gefordert, Kleidung zu entwerfen, die sich nicht so leicht kopieren lässt, wie es gerade ständig passiert. Und schauen Sie, all die Assistenten, die nachrücken, können ja auch Stars werden. Noch sind sie sehr jung, aber vielleicht sind sie bald der neue John Galliano.

Oder vielleicht Sie selbst? Keine üble Vorstellung. Aber zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich nicht weiter darüber nachdenken. Ich arbeite erst einmal weiter an meiner Ästhetik, um mich von anderen Designern abzusetzen.

War Anna Wintour, die mächtige Chefredakteurin der US-„Vogue“, bei Ihrer Show? Es heißt, sie habe das junge New Yorker Label Proenza Schouler großgemacht. Sie konnte leider nicht kommen. Aber sie hat mich einen Tag nach der Präsentation angerufen, um mir zu sagen, dass sie mich kennenlernen wollte. Zwei Tage später saß ich auch schon in ihrem Pariser Büro.

Noch jemand in der Branche, der Sie gerade unbedingt kennenlernen will? Ja, und wissen Sie was? Donatella Versace! Sie ließ gerade einem Freund von mir ausrichten, dass sie mich demnächst in Mailand treffen möchte. Ich bin gespannt, denn inzwischen mag ich die Marke Versace wieder sehr gerne. Donatella hatte erst Schwierigkeiten, das Erbe ihres Bruders weiterzuführen, finde ich. Aber inzwischen hat sie den Dreh raus.

Und was hat Anna Wintour gesagt? Dass sie großartige Dinge über mich gehört hat und mir bei meiner Karriere helfen möchte. Über die Details kann ich nicht sprechen. Ich muss sagen: Sie hat ja diesen Ruf, eine „Bitch“ zu sein. Aber als ich sie traf, war sie sehr freundlich und hat viel gelächelt.

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