Nils Binnberg
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Süddeutsche Zeitung

August 2012

Muttis
Söhnchen

Dieses verdammte kleine Wort. Immer wieder platzt es Joseph Altuzarra heraus, wenn er die Vorsitzende der Geschäftsleitung anspricht. Ein legeres „Mom“ schallt dann wie ein Echo durch das Atelier. Er wollte es sich eigentlich abgewöhnen. Doch so sehr er sich sonst auch bemüht, sie vor anderen „Boss“ zu nennen: Wenn seine Mutter vor ihm steht, ist er auf einmal wieder sechs.

Sein Aufzug kommt dem eines hochwohlerzogenen Schuljungen gleich: ein hellblauesT-Shirt mit V-Ausschnitt, darunter eine feingliedrige Kette, schmal geschnittene Chino-Hosen, schlichte Lederschuhe. Das einzig rebellische Accessoire ist ein goldener Ohrstecker in Form einer Niete. Altuzarra, Kreativchef seines gleichnamigen Modelabels, sitzt kerzengerade, als müsste er gleich im Kopf eine Stochastikaufgabe lösen, die Hände brav im Schoß gefaltet. Er ist so höflich, dass es fast unverschämt wirkt. Hier sitzt der fleischgewordene Traum aller Schwiegermütter.

In dem alten Warehouse in New York geht es zu, als wäre gerade Mittagsschlafenszeit. Ein weißer Zwergschnauzer, mit dem passenden Namen Bean, grunzt gemütlich in seinem Körbchen. In der Ferne hallt hin und wieder eine knatternde Nähmaschine. Ansonsten: lähmende Stille. Dieser artige Knilch soll Joseph Altuzarra sein, der als einer der talentiertesten New Yorker Designer seit Marc Jacobs gehandelt wird – und das hier soll sein Atelier sein? Wo entstehen hier die Kollektionen, die gerade mal vier Saisons nach der Gründung des Labels in mehr als 50 Luxusgeschäften in Nordamerika, China, Brasilien und Europa verkauft werden?

Dann werden eben nur sechs Paar Schuhe produziert. Ohne Abstriche kein Erfolg

Doch, doch, vor wenigen Wochen ist es hier noch richtig hoch hergegangen, versichert Altuzarra.Da war das lichtdurchflutete Hauptquartier in der geschäftigen Howard Street Schauplatz für endlose Modelcastings, Fittings – die Anproben– und Interviews mit der Presse. Man würde es kaum glauben,wenn es nicht Beweisbilder von diesem Trubel geben würde, die das Style.com-Magazin gerade publiziert hat.

„Was will man von einem Designer?“, das fragte Cathy Horyn von der New York Times kurz nach den Herbst-Winter- Schauen im vergangenen Februar. Und wer sollte die Antwort wissen, wenn nicht sie, die renommierte Modekritikerin: „Man will einen Look, nicht eine Million Teile. Nur eine einzige Inspiration, auf die man gestern nie gekommen wäre.“ Genau deshalb funktionieren Joseph Altuzarras Mäntel mit den in engen Overkneestiefeln steckenden Cargohosen. Das Motto der Kollektion war der Comic-Zigeuner Corto Maltese, der sich in roten indianischen Prints und Strick mit Fransen und Münzen wiederfindet. Das Ergebnis, so Cathy Horyn, ist ein „starker, frischer Look“.

Der Designer nimmt den Hype um seine Person gelassen.Versagensängste kennt er nicht. Vielmehr hat er sich bereits mit der Unberechenbarkeit des Business angefreundet, als er vor zehn Jahren seine Heimatstadt Paris verlassen hat, um ein Praktikum bei dem damaligen Gott der Mode, Marc Jacobs, zu machen. Um dann noch einmal kurz an die Seine zurückzukehren, für einen Assistentenjob beim Modehaus Givenchy.

Was ihn sicher macht, ist etwas, das vielen Designern und überhaupt allen, die ein eigenes Unternehmen gründen wollen, fehlt: die Rückdeckung der eigenen Mutter. Im Falle von Altuzarra ist die eine knallharte Bankerin mit einem ziemlich hohen Vermögen.Wer ihren Namen googelt–Karen Altuzarra–, sieht sie mit den mächtigsten Frauen der amerikanischen Modewelt die Köpfe zusammenstecken, Linda Fargo, „Senior Vice President, Fashion Office and Store Presentation“ vom New Yorker Nobelkaufhaus Bergdorf Goodman, und Jenna Lyons, Chefin des Labels J.Crew. Keine Sekunde musste Altuzarra zögern, als ihm 2007 mit 25 Jahren die Idee kam, ein eigenes Modelabel zu gründen. Seine Mutter war sicherer als jede Bank.

Familienunternehmen sind im Modebetrieb eigentlich nichts Ungewöhnliches. Von Ermenegildo Zegna über den Missoni-Clan bis zum Traditionshaus Trussardi: Die italienische Bekleidungsindustrie ist seit Generationen fest in Familienhand. Aber wie in anderen traditionell geführten Unternehmen auch, steigen hier in der Regel die Kinder in das Geschäft mit ein. Dass aber ein Kind zum Arbeitgeber seiner Mutter wird? Das ist ein neuer Trend.

Vor allem die junge New Yorker Modeszene hat einen auffälligen Mutterkomplex. Der Vorzeigedesigner Zac Posen? Gründete sein Label zusammen mit seiner Mutter Susan, die zuvor Rechtsanwältin in einer angesehenen Kanzlei war. Der Wonderboy Alexander Wang? Lässt sich von seiner Mutter Ying Wang beraten, die im Aufsichtsrat seiner Firma sitzt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Das Geschäftsmodell reagiert erfolgreich auf eine sich verändernde Arbeits- und Unternehmenskultur – die wachsende Zahl von Frauen in Führungspositionen etwa, oder das nachlassende Interesse, ein funktionierendes Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln sowie die finanzielle Herausforderung, ein Label im globalisierten Modebusiness zu starten.

Wie sich Privates und Berufliches eben nicht mischen, weiß Altuzarra noch immer nicht. Wenn er abends mit seiner Mutter telefoniert, kommt das Thema schnell auf den Job. „Wir diskutieren sehr viel. Oft liefern wir uns eine richtige Materialschlacht“, erzählt er und kichert leise. „Wenn ein Stoff sehr kostspielig ist, weist mich meine Mutter darauf hin, dass ich ein Gesamtbudget habe und wenn dafür ein großer Teil draufgeht, ich an anderer Stelle sparen muss.“Auch wenn Mama Altuzarra einDesign nicht gefällt, mischt sie sich ein. Overalls kann sie zum Beispiel gar nicht ausstehen. Doch das hält ihren Sohn nicht davon ab, in beinahe jeder Kollektion ein solches Teil zu zeigen. Manchmal aber lässt er sich auch von ihr überzeugen. Selbst wenn es heißt, dafür Abstriche machen zu müssen und nur sechsPaare Schuhe produzieren zu lassen, obwohl er doch eigentlich zwölf Looks über den Laufsteg schicken will. So wie bei seiner allerersten Show im Herbst 2008. Joseph Altuzarra verbrachte damals die gesamte Präsentation mit den Knien auf dem Boden. Im Sekundentakt schob er die wenigen Schuhe von einem Model-Fuß zum anderen, wechselte Einlagen in mühevoller Handarbeit.

Wer kein Budget hat, muss kreativ sein, das hat ihn seine Mutter gelehrt. Und Joseph hat eifrig gelernt. Die kleine Kunstgalerie in Chelsea, die er sich als Austragungsort ausgesucht hat? Gehört einem Freund. Das Styling? Übernehmen seine Freundinnen, die Pariser Star-Stylistin Melanie Huynh und New Yorks meist gebuchte Modemuse, das Socialite Vanessa Traina. Natürlich kostenlos. Beide hat Carine Roitfeld empfohlen. Altuzarra hat die Roitfeld während seiner Zeit als Designer bei Givenchy kennengelernt – damals dachte Carine Roitfeldwohl noch nicht im Traum daran, ihren Posten als Chefredakteurin der französischen Vogue irgendwann einmal zu kündigen. Seit Altuzarras erster Kollektion hat sie ihn bedingungslos unterstützt, beispielsweise dadurch, dass sie bei den Couture- Schauen in Paris immer wieder sein Label getragen hat, als das noch niemand kannte. Die versammelten Streetstyle-Fotografen konnten also gar nicht anders, als den Altuzarra-Look zu fotografieren – und in alle Welt zu schicken: von Funktionsmode inspirierte Tops und Schoßjäckchen aus perforiertem Leder oder Seide, Hightech- Kleider mit fluoreszierenden Prints und Kunststoffgürteln, wie man sie von Rucksackverschlüssen her kennt. Carine Roitfeld war seine Abkürzung auf dem sonst sehr langenWeg in die Hochmode.

Noch bevor Altuzarra sein Label lancierte, hat er den Markt genau studiert – so stand es in Mamas Businessplan. Es gab eigentlich alles, aber vieles richtete sich vor allem an Modemädchen. Kleidung für reifere Frauen sah entsprechend bieder aus. Altuzarra wollte das ändern. Seine Antwort war eine Kollektion, die mehr Carine Roitfeld, weniger Alexa Chung ist.

So ähnlich sah Kate Moss aus, als das Accessoire ihrer Wahl noch Johnny Depp hieß

Alles all zu Mädchenhafte ist ihm fremd. Erwachsen – und sexy – sollen seine Entwürfe sein. Nicht diese trashige Isabel-Marant-Sexiness, mit zerschlissenen, knöchellangen Röhrenjeans und bauchfreien Strickpullis, die immer wieder beiläufig von der gebräunten Schulter rutschen und so aussehen, als hätte man zu lange am Strand von Ibiza getanzt. Sexy, auf die Altuzarra-Art, bedeutet: auf eine nicht hohle oder gar billige Art und Weise verführerisch.

Ein funktionales Teil wie der olivgrüne Parka, der in der nächsten Saison in keiner Kollektion fehlt, wird von ihm folgendermaßen inszeniert: wadenlang, mit einer übergroßen Kapuze, einem hellgrauen Pelzfutter – darunter nichts als ein hauchzartes Spaghettiträger-Kleid. So ähnlich sah Kate Moss aus, als das Accessoire ihrer Wahl noch JohnnyDepp hieß und sie zugekokst durch Londons Luxushotels tourten. Altuzarra hat ein Foto davon. Aus der Stimmung hat er einen Look geschaffen, der die Psychologie der Kate-Moss-Generation zu treffen scheint.Die Jacke war online innerhalb von 24 Stunden ausverkauft.

Altuzarras Mode kleidet die modeaffinenFrauen ein, die altersmäßiggenau zwischen Kate Moss und Karen Altuzarra sind. Kundinnen, denen die sündhaft teuren Strickkleider eines Azzedine Alaïa zu viel Haut preisgeben und die objektiv feststellen, dass sie Tom Fords dramatische Fransenkleider in schwerem Lila alt machen. „Noch vor zwanzig Jahren war es verpönt, wenn eine 55-jährige Frau sexy sein wollte“, erzählt Altuzarra. „Die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei. Durch Sport, die richtige Ernährung und plastische Chirurgie sind Frauen heute sehr selbstbewusst mit ihrem Körper und zeigen ihn gerne. Ich unterstütze sie dabei.“ Wie sehr ihm das gelingt, zeigt ein Blick auf irgendeine Partyseite einer US-Zeitung, auf Streetstyleblogs oder Modestrecken in internationalen Magazinen. Seine Kleider sind überall.

In New York ist er längst so etwas wie der Kronprinz der Mode. Wie ein Hofstaat folgen ihm – auch die jüngeren – Socialites von Manhattan. Traina – klar. Die millionenschweren Courtin-Clarins-Schwestern, die elfengleichen Erbinnen des französischen Kosmetikimperiums, die eines Tages wie aus dem Nichts aufgetaucht waren. Oder die noch reichere Lauren Santo Domingo. Industriellentochter aus gutem Hause, eingeheiratet in eine der wohlhabendsten Familien Kolumbiens. Sie, die heimlichen Royals von New York, lassen sich allzu gerne in der Mode von Altuzarra adeln – und nicht in der seiner Konkurrenz.

Nach nur zwei Jahren im Geschäft grenzt dieser Erfolg an Zauberei. Oder war es doch Teil von Mamas Business-Plan? „Nein“, platzt es lachend aus dem jungen Modemacher heraus. „So etwas kann man sicher nicht planen.“ Dass das Geschäft weiterhin so gut läuft, allerdings schon. Eine Managerin, die das operative Geschäft betreut, soll in Zukunft dafür sorgen, dass sich seine Mitarbeiter auch mal über ihn beschweren können. Bei der Vorsitzenden der Geschäftsleitung hatten sie da Berührungsängste. Schließlich ist sie ja seine „Mom“.

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