Nils Binnberg
Journalist & Autor

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Süddeutsche Zeitung Magazin – Stil Leben

März 2017

„Nur weil es billig ist, muss es nicht hässlich sein“

Herr Welter, wann waren Sie zuletzt in einem Baumarkt?

Ulrich Welter: Im Baumarkt? Das ist mir mal vor ein paar Jahren auf Mallorca passiert. Ich musste dort eine Ferienwohnung renovieren, weil sie so hässlich war. Hellblaue Lacke an den Türen und Rahmen, die Wände gelb. Es war ein Albtraum. Wir hatten die Wohnung drei Wochen gemietet, und ich habe in der Zeit alles umgestaltet. Die Wände haben einen „Schlammton“ bekommen, die Türen habe ich elfenbeifarben gestrichen. Bei meiner Abreise war es eine vollkommen andere Wohnung.

Der Eigentümer war sicherlich erfreut …

Ich habe das ohne seine Erlaubnis gemacht. Es war ja nicht auszuhalten, absolut nicht auszuhalten, so hässlich war das. Aber er war dann tatsächlich ganz zufrieden mit meinem Eingriff.

Darf man als stilbewusster Mensch Farbe im Baumarkt kaufen?
Natürlich. Es kommt immer darauf an, wie man sie mischt.

Ein ewiger Bestseller für die Wände sind Raufasertapeten. Warum haben die so einen schlechten Ruf?
Raufaser ist von der Geschichte her im Prinzip nicht uninteressant. Das war mal ein sehr modernes Produkt, weil es in den frühen Siebzigern die bieder gemusterten Tapeten der Nachkriegszeit abgelöst hat. Aber mittlerweile ist es nur noch zum Kaschieren da. Wenn die Untergründe nicht ordentlich sind, kommt eben Raufaser drauf. Ich hasse sie vor allem, weil sie alles verdunkeln. Jeder Span wirft einen Schatten. Mit dem Effekt, dass eine Raufasertapete nie frisch aussehen kann.

Wie sind Sie ein Experte für Wände geworden?

Als junger Mensch habe ich Filmausstattungen gemacht. Es war aber frustrierend, dass ich nach zwei Monaten Arbeit alles wieder abreißen und so schnell wie möglich wegschmeißen musste. Also machte ich mich selbstständig und fing an, Wohnungen zu restaurieren.Ich hatte das Glück,wohlhabende und auch ein bisschen verrückte Kunden kennenzulernen. Die hatten eine Freude daran, was man mit Decken und Wänden alles anstellen konnte. Da habe ich geübt, mit Materialien und Strukturen zu experimentieren.

Sie verwenden für Ihre Wände Vliese mit sandkorngroßen Glaskügelchen oder Paneele mit Rissen wie bei einem ausgedörrten Savannenboden. Wie kommen Sie darauf?

Ich gehe aufmerksam durch die Welt, entdecke spannende Strukturen und Oberflächen und stelle mir zwei Fragen: Wie entstehen die? Und wie kann man sie nachempfinden? Metallpatinierungen sind hochinteressant. Die Entstehung von Rost, die verschiedenen Farben, je nachdem wie alt die Korrosion ist, von Hellorange bis Dunkelbraun. Oder wie sich Fassaden verfärben. Risse mag ich besonders gern.

Ihr Talent hat sich bis nach Hollywood herum gesprochen. Sie durften am Bühnenbild der Oscar-Verleihung mitwirken.

Das war gar nicht anders als bei anderen Kunden. Es gab eine Anfrage, ich habe ein Muster nach L.A. geschickt – in dem Fall eine silberne Fläche, die mit vielen tausend kleinen Kristallen überzogen war. Der einzige Unterschied: Die Oscar-Leute vergessen immer, rechtzeitig zu bestellen. Plötzlich ist in zwei Wochen die Oscar-Verleihung, und erst dann kommt die Auftragsbestätigung. Das ist anstrengend. Die Produktion einer aufwändigen Tapete dauert mindestens eine Woche.

Denken Sie, wenn Sie sich den Deutschen Fernsehpreis anschauen: Was ist das eigentlich für eine farblose Veranstaltung?

Ach nein, solche Gedanken hege ich eigentlich nicht. Aber man muss schon sagen: Das Design ist nicht berauschend. Es ist nicht spektakulär genug. Man muss ja nicht gleich etwas machen, was die Welt noch nie gesehen hat. Es würde schon genügen, etwas ansprechender und feierlicher zu sein. Ein bisschen Licht, ein wenig Glanz.

Ähnlich trostlos sieht es in vielen deutschen Wohnungen aus. Warum entscheiden sich so viele Menschen für weiße Wände?

Aus Angst. Ich bekomme das ja bei meinen Kunden mit. Es gibt zwei Argumente, die ich jedes Mal zu hören bekomme: Erstens die Furcht, sich einmal für eine Stimmung entscheiden zu müssen. Und zweitens das Hemmnis durch die Tatsache, dass fast alle Deutschen in einer Mietwohnung leben. Da sage ich immer: Am Ende ist doch alles gemietet. Selbst das eigene Leben.

Was halten Sie denn von weißen Wänden?

Früher habe ich die komplett abgelehnt. Ich habe aber mittlerweile gelernt, dass man sich durchaus bewusst für die Farbe Weiß entscheiden kann. Dann ist das natürlich in Ordnung. Weiß gestrichene Decken finde ich ohnehin fast immer richtig.

Warum?

Eine Decke, die ich weiß streiche, sieht nie weiß aus, weil sie immer im Schatten liegt. Sie ist immer dunkler – und in jedem Raum anders. Sie ist ein großer Reflektor.

Und was hat es mit diesem Apricot-Ton auf sich, der mit einem Schwämmchen aufgetragen wird und den die Deutschen so lieben?

Diese Farben sollen Wärme ausdrücken. Das ist nachvollziehbar, ein Ausdruck der deutschen Angst vor Ungemütlichkeit. Auch wenn in Realität kühlere Farben oft viel gemütlicher sind, weil die warmen meistens so grell gemischt sind, dass sie einen erwürgen. Im Prinzip sind diese Töne ein Anachronismus, eine Rückkehr in die Zeit vor Bauhaus. Wände waren ursprünglich niemals leere Flächen und nie weiß. Das gibt es erst, seitdem Farbe industriell herstellt wird. Davor gab es wilde Muster, Tapeten zum Aufrollen. In diese Welt ist dann in den Zwanzigerjahren die Farbe Weiß geplatzt. Die war modern, die Aussage war: Ich mache keine wilden Muster, ich bin eine ruhige Fläche.

Was ist denn heute modern?

Eher zurückhaltende Farben, dieses ganze Braun- bis Grau-Spektrum, Off-Töne. Farblich sehr warm, sehr gedämpft. Auch Metalle und Metalltöne, von Rost bis Kupfer. Und Gold wird als Wandfarbe- und Wandmaeterial immer gefragt sein.

Ach ja?

Gold steht für etwas Unerreichbares, das spricht die Leute an. Gold ist schön! Es ist nur die Frage, wie man die Farbe einsetzt. Man sollte sie nicht sparsam einsetzen. Manchmal ist es ruhiger und dezenter, eine ganze Wand golden zu streichen, als nur kleine Goldelemente einzubauen.

Wie viel zahlt man für eine Wand von Ihnen?

Das ist ganz unterschiedlich. Unsere Preisspanne reicht von 100 Euro pro Quadratmeter bis 1000 Euro. Eine Wand kann also 1000 oder 10.000 Euro kosten.

Und was macht man, wenn man diese Möglichkeiten nicht hat?

Nichts wird automatisch schön, nur weil es teuer ist. Der Umkehrschluss ist: Nur weil es billig ist, muss es nicht hässlich sein. Wenn man kein Geld hat, sich eine Wand für mehrere Tausend Euro zu leisten, heißt das nicht, dass man es gleich hässlich machen muss. Man kann zum Beispiel zwei Farbtöne kombinieren und zwei Wände in dem einen Ton streichen, die restlichen in dem anderen. Das ist immer noch besser als eine weiß gestrichene Raufaser-Tapete. Und was besonders wichtig ist: baubiologisch arbeiten. Ich würde nie in Dispersionsfarbe streichen, sondern zumindest in Mineralfarbe, damit die Feuchtigkeit besser ausgetauscht werden kann.

Steht eine gestaltete Wand in Konkurrenz zu den Bildern, die da noch aufgehängt werden?

Nicht unbedingt. Eines der schönsten Beispiele, wie Kunst und Raumgestaltung zusammen funktionieren, ist das Schloss Versailles. Unglaublich extravagante Wände, wunderschöne Stoffbespannungen oder auch Malerei auf den Wänden. Und was machen die Franzosen? Sie stellen einen Schrank davor. Perfekt. Das finde ich gut. Ich mache keine Kunstwerke, die Menschen sollen Bilder an meine Wände hängen.

Was ist der häufigste Fehler, der bei der Wandgestaltung gemacht wird?
Zu glauben, ein Wanddesign wäre für die Ewigkeit. Dabei kann man alles neu streichen.

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