Nils Binnberg
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Süddeutsche Zeitung

Mai 2012

Waffen einer Frau

Eines der letzten, großen Mysterien der Menschheit ist zweifellos: der Inhalt einer Handtasche. Die Damenhandtasche ist intimes Sperrgebiet, in das selbst allerbeste Freundinnen niemals ohne Erlaubnis vordringen dürfen und Männer schon mal gar nicht. Vielleicht ist das der Grund, warum Frauen zurzeit Modelle an ihren Armen tragen, die an die Ausrüstung von Schlägertrupps erinnern. Zentimeterlange Metallspitzen und messerscharfe Swarovski-Kristallsplitter zieren Schultertaschen, und kleine, kastenförmige Clutch-Bags sehen dank Nietendekor aus wie das Spielzeug einer Domina. Die Botschaft: Komm mir nicht zu nahe, sonst setzt’s was.

Im Luxusonlineshop Net-a-Porter werden diese neuen Taschen-Hits mit lustigen Namen wie „Rock Stud Leather Tote“ oder „Spiked Leather Clutch“ beworben. Für den deutschen Zoll aber sind sie „Hit-Bags“ in einem ganz anderen Sinne: Schlagwaffen, die unter das Waffengesetz fallen. Konkret heißt das: Erwerb und Besitz sind streng verboten und führen zu drastischen Strafen. Obwohl es bisher noch Einzelfälle sind, zeichnet sich ein klarer Trend ab: mehr Stachel und Nieten an Taschen, mehr Beschlagnahmungen.

Welche Geschütze manche Frau tatsächlich jeden Tag so mit sich herumträgt, wird klar, wenn man einen Blick in die Statistik des Zolls wirft. Hier ist plötzlich keine Rede mehr von coolen „Rock Studs“ oder schicken „Spikes“. Hier sind die Designertaschen ziemlich unglamourös als Hieb- und Stichwaffen, Schlagringe oder sogar Morgensterne (diese Mittelalter-Waffe mit Stacheleisenkugeln am Beil) aufgelistet. Taschen, mit denen man im Mode-Sale die Kontrahentin im Kampf um den Céline-Shopper locker krankenhausreif schlagen kann. Taschen, die nicht auf dem Schwarzmarkt in Tschechien, sondern ganz legal in Luxusshops verkauft werden. Und für die man eigentlich einen Waffenschein benötigt.

So wie jene „ Knuckle Duster Clutch“ von Alexander McQueen, die die Moderedakteurin eines deutschen Lifestyle-Magazins in ihren Koffer gepackt hatte, für ein Shooting auf den griechischen Inseln. Eine schmale Abendtasche aus Python, mit einem Griff aus aneinandergereihten Totenkopf- und Kristallringen. Das exaltierte Designstück liegt nun im Münchner Hauptzollamt als beschlagnahmtes Objekt zwischen exotischen Echsen und gefälschten iPods. Die Begründung: Es handle sich um einen gemeingefährlichen Schlagring.

Bei einer zufälligen Kontrolle am Flughafen im vergangenen Herbst traute die Redakteurin ihren Ohren nicht. Was soll sie im Reisegepäck haben? Eine Waffe? Kann ja gar nicht sein. Natürlich war Athen gerade in Aufruhr, es gab jeden Tag Straßenschlachten. Aber ihre Mission war schließlich die Mode, nicht der Mob. Als der Zollbeamte die Clutch in den Händen hält, fragt er kopfschüttelnd und in breitem Landshuter Dialekt: „Macht der McQueen noch mehr solcher Taschen?“ „Der ist tot“, antwortete die Redakteurin, was den Beamten völlig durcheinanderbringt. Straßenschlachten! Schlagringe! Tod! Die Tasche wird zur Ermittlungssache der Staatsanwaltschaft. Der Fall ist noch immer offen: Die Redakteurin hat vom Verlag einen Rechtsanwalt gestellt bekommen, um eine Freiheitsstrafe zu vermeiden. Um ein Bußgeld wird sie nicht herumkommen.

Dass die italienische Designerin Miuccia Prada eine Tasche mit Metallbolzen verziert, weil sie uns in wirtschaftlich schwierigen Zeiten symbolisch Schutz geben möchte, interessiert den Zoll natürlich nicht. Für ihn ist alleine die Warenbewegung maßgeblich – so der Beamtensprech. Verhandlungsspielräume oder Ausnahmen gibt es nicht. Für das Mitführen von kriminell verzierten Taschen drohen Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren – genau wie für den Besitz verbotener Waffen. Aber wer möchte schon wegen einer Designerhandtasche vorbestraft werden?

Es trifft längst auch die Männer. Die amerikanische Transportation Security Administration (TSA) hat erst kürzlich Loafers der französischen Marke Christian Louboutin als Schlagwaffe in ihren Katalog aufgenommen. Nachdem die mit Nieten überzogenen „Rollerboy Spikes“-Slipper im Handgepäck eines Passagiers entdeckt wurden, stehen die Luxustreter dort auf dem Schlagwaffen-Index. Wer in solch einem Fall Hilfe von den Luxusunternehmen erwartet, stößt dort auf Unverständnis. Es ist ja auch nicht so, dass McQueen & Co. ihre Waren nicht kennzeichnen würden. „Knuckle Duster“ klingt witzig, heißt übersetzt aber tatsächlich „Schlagring“. Damit könnte man den Firmen gewerbsmäßigen Waffenhandel unterstellen und sie wegen international organisierter Kriminalität anzeigen. Aber so weit wird es wieder nicht kommen. Denn wie so oft in der Mode ist es nur eine Frage der Zeit, und ein Trend entschwindet so schnell, wie er gekommen ist. Dann herrscht bald sicher wieder Waffenruhe.

 

Die Beschützerin

Woran erkennt man einen echten Christian Louboutin? Richtig: auch am russischen Akzent seiner Trägerin. Ein weiteres Indiz: die kirschrote Sohle unter den legendären Zwölf- Zentimeter-Pumps des Labels. Ein Markenzeichen, das das französische Luxushaus für sich beansprucht und alle verklagt, die es ihm nachmachen. Aktuell übrigens die Kollegen von Yves Saint Laurent. Wen wundert es da, dass das Accessoirelabel auch beim Taschendesign gerne mal die Krallen ausfährt? Die ziemlich gefährlich aussehende Tasche mit dem Namen „Artemis“ – die nicht zufällig nach der griechischen Göttin der Jagd und Hüterin der Frauen benannt wurde – sticht jedenfalls sofort ins Auge. Und ist, natürlich, überall längst ausverkauft.

 

Tragt mehr Nieten, Mädchen

Bei der Mode der beiden Valentino-Designer Maria Grazia Chiuri und Pierpaolo Piccioli denkt man zuallererst an hauchzarte Spitzenkleidchen in zarten Pudertö- nen. Niemals wäre man auf die Idee gekommen, dass die gar nicht zurückhaltende „Rockstud Dome Satchel Bag“ aus dem italienischen Modehaus stammen könne. Sie sieht eher aus wie von Versace. Oder so, als hätte der Accessoires-Verantwortliche vom Modelabel Guess mal einen guten Tag gehabt. Egal, bei der kaugummisüßen Mädchenmode dieses Sommers brauchte es vielleicht ein bisschen Härte.

 

Bolzenbeutel

Kaum zu glauben, aber der junge, aufstrebende New Yorker Modedesigner Alexander Wang hat bereits eine Anzeige am Hals. Weil die „Wang Gang“, wie das familiengeführte Unternehmen in Insiderkreisen heißt, die Jersey-Klamotten angeblich von Billiglohnkräften in den übelsten Sweatshops von Chinatown nähen ließ, drohen dem Designer jetzt Bußgelder und eine Freiheitsstrafe. Er streitet bisher alles ab. Es dürfte ihm ziemlich egal sein, wenn seine unter Models begehrte „Diego Bucket Bag“ auf dem Index landet. Sie zwingt mit ihren Mega-Bolzen die Metalldetektoren an Flughäfen in die Knie? Na, und? In dem Augenblick ist sie doch längst ausverkauft.

 

Luxus-Schlagring

Kennt man ja nicht anders von dem britischen Modeschöpfer Alexander McQueen: viel Gothic, viel Kostümgeschichte, und vor allem: viel Drama. Was zu Lebzeiten von „Lee“, wie ihn seine Freunde nannten, typisch für einen 1-A-McQueen-Look war, beherrscht offenbar auch seine Nachfolgerin Sarah Burton. Die Abendhandtasche mit Totenköpfen und einem Schlagring lässt aber nicht nur Freunde des Morbiden, sondern auch Hooligans vor Neid erblassen. Und Modefrauen haben immer ein Utensil zur Selbstverteidigung dabei. So hübsch und praktisch, diese „Knuckle Duster Clutch“! In jeder Hinsicht ein echter Verkaufsschlager.

 

Krokopanzer gefällig?

Wer die berühmtesten Mode-Zwillinge der Welt, Mary-Kate und Ashley Olsen, schon einmal während der New Yorker Modewoche gesehen hat, kriegt folgendes Bild nicht mehr aus dem Kopf: Die Augen hinter übergroßen Sonnenbrillen versteckt, kauern die beiden wie Vögelchen auf ihren Stühlen, als seien sie gerade aus einem Nest gefallen. Vielleicht haben sie deshalb für ihr Luxuslabel The Row diesen Edelrucksack aus Alligatorhaut entworfen? Denn wer sich das Accessoire für 27 000 Euro leisten kann, macht allen anderen klar deutlich: Tut so, als hättet ihr mich nicht erkannt – sonst gibt es Ärger mit meinen Security-Leuten.

 

Stahlkappen

Jeder, der schon mal in die USA gereist ist, weiß: Die Flugsicherheitsbehörde kann einem den letzten Nerv rauben. In einem Fall aber kann man ihr dankbar sein: Dass sie die „Rollerboy Spikes“-Loafers von der Marke Christian Louboutin aus dem Verkehr gezogen hat. Die Begründung – mal wieder: Gefährdung der Flugsicherheit. Anhänger des Minimalismus werden sich wie verrückt über das Reiseverbot der mit Nieten überzogenen Treter freuen. Aber was ist mit Altrockern, exzentrischen Popstars oder Leuten wie dem Modeblogger-Sternchen Bryan Boy? Sie werden fieberhaft überlegen, wie man eigentlich den Zoll schmiert.

 

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